Ausgespuckt

27. Dezember. Wenn die ersten beiden Tage auf See dazu dienten, uns auf die Antarktis vorzubereiten, dann dienen die letzten beiden Tage nun der Rückkehr zur Normalität. Obgleich es, konstant starkem Wellengang in der Drake Passage sei Dank, eher einem Ausspucken gleicht.

Am Vormittag werden wir im „Amphitheater“ der Midnatsol mit den Formalitäten des Ausschiffens vertraut gemacht. Speibsackerl will diesmal keiner haben, ich vermute allerdings, dass die meisten ohnehin bereits eines haben. Man möge jedenfalls nicht hier drinnen sitzen bleiben, wenn es einem nicht gut gehe, so der freundliche Hinweis.

Ich hatte am Vorabend eine Tablette eingeworfen und fühle mich einigermaßen fit. Allerdings ist das auch erst der Anfang: Der Kapitän meldet sich per Lautsprecher zu Wort, um uns mitzuteilen, dass es gegen Nachmittag und Abend etwas rauer zugehen könnte. Statt der aktuell 20 bis 25 Knoten Wind sollen es dann 40 bis 50 sein. Ich habe keine Ahnung, wie viel so ein Knoten überhaupt ist, aber meine spärlichen mathematischen Kenntnisse reichen aus, um mir zu sagen, dass es doppelt so schlimm werden dürfte.

Am frühen Nachmittag heißt es dann Abschied nehmen, von den Gummistiefeln und meinem „Eselspinguin“-Patch, den ich bei jedem Ausflug zu tragen hatte. Im Gegenzug erhalte ich meinen Pass zurück und bekomme die Rechnung. Sie ist mit einer Heftklammer so zugetackert, dass ich die Endsumme nicht sehen kann. Das ist wohl auch besser so.
Dann heißt es warten. Es werden Adressen ausgetauscht und Facebook-Freundschaften geschlossen. Und ich beginne schon mal damit, meine Tasche zu packen. Nicht die beste Idee, bei diesem Wellengang. Im Laufe des Nachmittags wird die See ruppiger, die Außendecks werden für Besucher gesperrt. Ich verbringe die meiste Zeit liegend in meiner Kabine, wo es mich immer wieder aus meiner Matratze hebt, um mich im nächsten Moment erneut in diese hineinzupressen. Ich nehme noch eine Tablette.

Denn am Abend findet das zweite Dinner statt, das Captain‘s Dinner, um genau zu sein, und diesmal will ich es nicht ausfallen lassen. Tatsächlich geht es meinem Magen sogar sehr gut, als ich um 20.15 Uhr die Kabine verlasse und kurz darauf mit einem Gläschen irgendeines anti-alkoholischen Saftes an der Spalier stehenden Crew und sämtlichen Expeditionsguides „Cheers“ prostend vorbeigehe.

Ich bin jedoch froh, als ich wieder festen Sitz unter mir habe. Vom Sektglas meines Tischnachbarn kann man das nicht behaupten – es wird noch vor der Vorspeise ausgeknockt. Der ganze Saal hält kollektiv lautstark die Luft an und versucht festzuhalten, was festzuhalten geht. Ein paar Wellen später verabschiedet sich mein Buttermesser vom Teller. Ich möchte heute wirklich nicht in der Haut der Kellner stecken.


Sie servieren und räumen im Rekordtempo ab, wofür ich ihnen mehr als dankbar bin, denn mit jeder Minute, die ich hier sitze und auf meinen Teller starre, merke ich, dass es mir erneut flauer wird. Aber ich will das jetzt durchziehen. Nach der letzten Kuchengabel verabschiede ich mich allerdings prompt, stehe auf und spüre erst jetzt so richtig, wie heftig das Schiff eigentlich schwankt.

Es ist zwar nur ein Deck, dass mich von meiner Kabine trennt, doch im Stiegenhaus und den fensterlosen Korridoren wird mir rasch übel. Hastig schließe ich meine Kabinentür auf, lasse mich auf mein Bett fallen und schließe die Augen. Besser. Erst drei Stunden später werde ich kurz aufstehen, mich ausziehen und schwankend Zähne putzen. Die Drake Passage schaukelt das Schiff indes ununterbrochen weiter durch – und mich irgendwann in den Schlaf.

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